Nie wieder Chlorhühnchen
Die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe brechen eine Lanze für weitreichende Freihandelsabkommen. Die Zeit dafür scheint günstig.
Die Zahlen, die zur neuen Freihandelszone in Asien kursieren, sind gigantisch: 2,2 Milliarden Menschen, rund 26 Billionen US-Dollar an Bruttoinlandsprodukt – das ist fast ein Drittel der Wirtschaftsleistung der Welt und mehr als das doppelte dessen, was in der EU in einem Jahr erwirtschaftet wird.
Außerdem vereinen die 15 Mitgliedsländer der „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) über ein Viertel des Welthandelsvolumens auf sich; schließlich haben neben den 10 ASEAN-Staaten Schwergewichte des Welthandels wie die VR China, Japan und Südkorea das neue Freihandelsabkommen in Asien unterzeichnet.
Abkommen, die den internationalen Handel regeln und vereinfachen sollen, hatten zuletzt keinen guten Stand:
Mit lautem Getöse waren die USA 2017 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump aus der fertig verhandelten „Trans Pacific Partnership“ ausgestiegen, gegen die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP) waren allein in Deutschland im Jahr 2016 Hunderttausende auf die Straßen gegangen.
„Dass die die Ablehnung an Marginalien wie dem Import von US-Chlorhühnchen aufgehängt wurde, wirkt angesichts des Tempos, mit dem die Region Asien/Pazifik voranschreitet, aus der Zeit gefallen“, kommentieren die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe die Argumentation von damals aus heutiger Sicht: „Irgendjemand hat da den Schuss nicht gehört. Jetzt kommt aus der Pazifikregion der Donner.“
Gut möglich, dass sich das Blatt in der internationalen Handelspolitik nach dem Paukenschlag aus Fernost nun wieder wendet. Denn der Rest der Welt ist ja keineswegs dazu verdammt, den Aktivitäten in Asien tatenlos zuzusehen – im Gegenteil: Gerade jetzt könnte der richtige Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen sein, argumentieren die Chefvolkswirte der Sparkassen-Finanzgruppe. Denn
- Der neue US-Präsident Joe Biden ist sehr nahe an für Europäer zentralen Vorstellungen etwa zur internationalen Zusammenarbeit, fairem Interessenausgleich, Klimaschutz, sozialer Sicherheit und Menschenrechten.
- Viele ASEAN-Staaten dürften interessiert sein an weitreichenden Freihandelsabkommen, denn je diversifizierter ihre wirtschaftlichen Beziehungen, desto weniger können sie einseitig – zum Beispiel durch die Volksrepublik China - unter Druck gesetzt werden. Das Abkommen mit der kommunistischen Regierung um Xi Jinping dürfte für viele ohnehin nur die zweitbeste Lösung gewesen sein, nachdem sich die USA zurückgezogen hatten.
- In Deutschland und Europa wird die internationale Vernetzung möglicherweise mit Blick auf die Corona-Pandemie neu bewertet werden: Die Reparatur von Lieferketten und das Erschließen neuer Bezugsquellen hätten angesichts des anhaltenden Teil-Lockdowns in großen Teilen Europas erheblich länger gedauert, wäre die europäische Industrieproduktion ausschließlich auf Europa konzentriert. Die Industrie würde von Lieferausfällen aus Teilen Europas ausgebremst.
- Die Trump-Jahre haben gerade den Europäern klar gezeigt, wie schnell man selbst bei „Wertepartnern“ ohne feste und einklagbare Verträge schutzlos politischer Willkür ausgesetzt sein kann.