„Deutschland kann mehr!“

06.11.2025 Wirtschaft, Politik

Rede des DSGV-Präsidenten Prof. Dr. Ulrich Reuter anlässlich des. 18. Deutschen Wirtschaftsforums am 6. November 2025 in der Frankfurter Paulskirche.

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Foto: Andreas Henn für Studio ZX / DIE ZEIT

 

Sehr geehrter Herr Dr. Esser,

meine sehr geehrten Damen und Herren, vor wenigen Tagen traf sich  unter Leitung des Bundeskanzlers die Spitze der CDU. Mit einem Psychologen, der uns Deutschen den Spiegel vorhält:Stephan Grünewald .

 

Er legt mit seinen tiefenpsychologischen Interviews seit Jahren die Deutschen auf die Couch.Das Ergebnis: Deutschland ist müde geworden. Zitat:  „Vor knapp zehn Jahren hatten die Menschen noch das Gefühl, Deutschland ist eine Art Auenland – wirtschaftlich stabil, niedrige Arbeitslosigkeit, wir sind Fußball-Weltmeister und Export-Weltmeister. Es gab einen gewissen Stolz auf das Land.“ 

 

„Jetzt haben viele Menschen das Gefühl, das Auenland ist verloren gegangen. Sie schaffen sich eine Selbstwirksamkeit, indem sie sich ins Private, in das eigene Schneckenhaus zurückziehen.  Und eine Art Verdrängungsvorhang vor die globalen Probleme spannen."

 

Viele von uns spüren genau das. Daraufhin werden Narrative von gestern wiederholt.In der Hoffnung, dann käme das Auenland zurück. Wenn wir aber in der Rückschau ganz ehrlich sind:Wir alle sahen die Brücken bröckeln. Und schauten weg.

 

Wir alle sahen die Verwaltung unter Akten verstauben.Und lächelten müde oder machten uns sogar lustig.Wir schlossen Kasernen und Truppenübungsplätze. Und erklärten alle Nachbarn für friedlich.

 

Wir sahen die Zahlen der Rentenversicherung. Und beruhigten uns mit der Festschreibung des Rentenniveaus.

 

Doch die Welt hat den Vorhang der Verdrängung längst heruntergerissen. 

 

Putin, der auf die europäische Friedensordnung pfeift und mit brutaler Gewalt die vergangene Sowjetunion wieder herstellen will.

 

Oder Trump. Der uns schlicht sagt: America first. Great again. Egal wie.Eure Sicherheit ist nicht mein Problem.

 

Oder der chinesische Xi, der uns wissen lässt: Wenn ihr uns kritisiert, bekommt ihr keine seltenen Erden mehr. Keine Rohstoffe. Keine Chips.

 

Sie alle führen uns eine Welt vor, die sich nicht nach unseren Wünschen richtet. 

 

Die bittere Wahrheit ist: Wir alleine sind nicht verteidigungsfähig. Unsere Energieversorgung ist längst nicht gesichert. Unsere Infrastruktur ist marode. Wir haben keinen Zugriff auf wichtige Rohstoffe.Unsere Sozialsysteme sind nicht zukunftsfähig.

 

Es ist an der Zeit, das zu erkennen. Wir alle sind gefragt. Nicht nur die Politik.

 

Ich sehe aber schon wieder neue Verdrängungsvorhänge: Für die Rente wird eine Kommission gebildet. Die Wehrpflicht soll aus einem Fragebogen bestehen. Mit dem Infrastrukturgeld werden Löcher in laufenden Haushalten gestopft.

 

Manche meinen, „die in Berlin“ müssten es richten.Tatsächlich aber sind in einer Demokratie alle gefragt.

 

„In der Krise zeigt sich der Charakter“: So hat Helmut Schmidt das einst formuliert  .

 

Wir müssen uns kollektiv durchschütteln. Damit dieses Land den Schlafwagen verlässt. Und in die Lok einsteigt.

 

Vor allem aber brauchen wir einen Zukunftsplan. Lassen Sie mich nur drei Punkte skizieren:

 

Erstens: Unabhängigkeit sichern.

 

Wir müssen die Abhängigkeiten von den Autokraten dieser Welt verringern. Schwer genug. Dazu müssen Sie als Wirtschaftsverantwortliche die Lieferketten neu aufstellen. Das kann Ihnen die Politik nicht abnehmen.

 

China wollte uns über den Preis abhängig machen. Und hat das geschafft. So wie Russland einst mit günstigem Gas.

 

Wir müssen deshalb neue Handelspartner finden: Indonesien, Vietnam, Singapur, Malaysia.Kanada, Südamerika, Afrika.

 

Das Mercosur-Abkommen muss finalisiert werden. Wir brauchen mehr und neue Freihandelsabkommen. Und wir sollten Kanada wie ein Land des europäischen Wirtschaftsraums behandeln.

 

Wir brauchen Zugriff auf eigene Energien und Rohstoffe. Deshalb führt für Deutschland kein Weg an den erneuerbaren Energien vorbei.

 

Und dann brauchen wir schnell eine robuste Armee. Mit Wehrpflicht so rasch wie möglich. Mit breiter gesellschaftlicher Unterstützung. Und eine wirksame Förderung der europäischen Verteidigungsindustrie. 

 

Europa sollte keine digitale Kolonie sein. Wir dürfen deshalb nicht länger Daten unkontrolliert den USA und China ausliefern. Vor allem nicht unseren wichtigsten Schatz: Die Produktionsdaten der mittelständischen Industrie.

 

Deshalb brauchen wir KI-Cluster hier bei uns. Europäische Datenzentren. Einen souveränen europäischen Zahlungsverkehr.

 

Heute dominieren amerikanische Payment-Anbieter den europäischen Markt. Sie greifen hier Daten und Wertschöpfung ab. Sie machen europäische Händler abhängig. Und können Verbraucher ausforschen. 

 

Europa muss deshalb endlich lernen,  seine eigene digitale Zukunft selbst zu gestalten.

 

Nun will die EZB den „Digitalen Euro“. Klingt gut, ist es so aber nicht.

 

Denn glauben wir wirklich, dass der Wettbewerb der Zukunft durch eine europäische Verwaltung gewonnen wird?

 

Glauben wir wirklich, dass wir Milliarden öffentlicher Mittel für ein Projekt ausgeben sollten, das keinerlei Nutzen für ganz normale Menschen hat?

 

Ich glaube nicht daran.

 

Wir wollen, dass der Wettbewerb im Markt gewonnen wird. In einer Kooperation europäischer Banken. Mit Wero.Jetzt, nicht erst in einigen Jahren. Wero gibt es schon.

 

Zweitens: Infrastruktur ertüchtigen.

 

Wir müssen die deutsche Infrastruktur auf Vordermann bringen. 

 

Wir reden von Straßen, Brücken und Schienen. Wir reden aber auch von digitalen Infrastrukturen. Von Künstlicher Intelligenz. Von Energie-Netzen.

 

Die notwendigen Investitionsvolumina übersteigen alles bisher Dagewesene.

 

500 Mrd. EUR „Sondervermögen“ wurden beschlossen. 42 Mrd. jährlich. Das ist pro Jahr etwa so viel,  wie allein die Sparkassen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres als neue Kredite  an Unternehmen und Selbständige zugesagt haben.

 

Das Sondervermögen allein wird es nicht richten können. Entscheidend wird sein, privates Kapital zu mobilisieren. 

 

Ja, wir brauchen eine Kapitalmarktunion. Noch wichtiger sind aber zwei andere Dinge:

 

Wir müssen die Breite der deutschen Unternehmen zu Investitionen motivieren. Erweiterungsinvestition, nicht nur Ersatzinvestitionen. Das Kapital dafür ist da. Die Liquidität – mit Blick auf die bei uns geführten Geschäftsgirokonten – auch.

 

Was fehlt, ist eine politische Initialzündung, die das ganze Land aufrüttelt. Und da sind wir bei mutigen Reformen.

 

Der zweite wichtige Baustein  sind die privaten Kleinanleger.

 

Es gibt genug privates Kapital in unserem Land. Wir brauchen Anreize, dieses volkswirtschaftlich sinnvoll hier bei uns zu investieren. Aus Einlagen Zukunft zu machen.

 

Wir haben bei der Finanzierung der Höchstspannungsnetze in Baden-Württemberg gesehen: Das findet großes Interesse bei Kleinanlegern.

 

Das ist eine Win-Win-Situation: Stärkung der deutschen Infrastruktur. Und gleichzeitig Beteiligung möglichst vieler Menschen an Infrastrukturinvestitionen.

 

Dritter Punkt: Generationsvertrag erneuern.

 

Inzwischen weiß jeder: Es gehen in den nächsten Jahren mehr Menschen in den Ruhestand als junge Menschen in das Erwerbsleben nachwachsen. Rund 400.000 Menschen netto jährlich.

 

Das hat gravierende Konsequenzen: Die junge Generation wird deutlich mehr Lasten schultern müssen. Die größten Teile der Sozialausgaben, die wesentlichen Anteile des Bundeshaushalt gehen schon heute in die Rente. Künftig stark wachsend.

 

Das können wir uns nicht leisten. Wenn Lohnnebenkosten und Steuern nicht noch weiter steigen sollen.

 

Wer heute 25 ist, muss dreimal zahlen: Für die Eltern. Für die Kinder. Und für eine Politik, die Jahrzehnte lang auf Zeit gespielt hat.

 

Und da wir den Temperaturanstieg der Erde nicht begrenzen konnten, müssen sie ganz nebenbei noch die erheblichen Lasten der Klimaanpassung tragen. Ist das die Generationengerechtigkeit, die wir versprochen haben?

 

Ich habe Verständnis dafür, wenn die junge Generation die Wiedereinführung des Nachhaltigkeitsfaktors in der Rente ab 2031 fordert. Wenn sie der Mütterrente nicht genauso viel abgewinnen kann wie Ältere.

 

Die jungen Menschen können verlangen, dass wir alle heute die Lücken schließen und nicht alles ihnen überlassen. Gemeinsam. Durch Mehrarbeit. Längere Wochenarbeitszeit und auch längere Lebensarbeitszeit. Dänemark hat bereits die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung geknüpft.

 

Auch wir brauchen eine grundlegende Reform der Alterssicherung. Mehr Eigenvorsorge. Kapitaldeckung. Frühstartrente mit Turbo.

 

Das duldet keinen Aufschub.

 

Willy Brandt hat einst gesagt:

 

„Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben.“  

 

Ich wünsche mir,  dass wir alle den Mut haben, das bisher Undenkbare zu denken. Und möglich zu machen!

 

Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Darin sollte stehen:

 

Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt. Wir können im Interesse der nächsten Generationen nicht so weitermachen wie bisher.

 

Wir alle werden mehr leisten müssen. Dabei muss es gerecht zugehen:Es geht aber nicht um Verteilung. Es geht um Gerechtigkeit in der Belastung! 

 

Deshalb müssen alle jungen Männer einen verpflichtenden Wehr- oder Sozialdienst leisten. Und nach einer Grundgesetzänderung auch die Frauen. 

 

Es müssen alle mehr arbeiten. Die Rente wird an die Lebenserwartung geknüpft.

 

Es muss pro Woche eine Stunde mehr gearbeitet werden. Ein Feiertag wird zu Gunsten der Verteidigung gestrichen.

 

Vermögende und Gutverdiener müssen eine Sonderlast für die Reparatur der Infrastruktur erbringen.

 

Wir erwarten von den Unternehmen Zukunftsinvestitionen. Das wird steuerlich gefördert. Und die bürokratischen Lasten werden ernsthaft abgebaut.

 

Genehmigt ist ab jetzt alles, dem die zuständigen Behörden nicht innerhalb einer begrenzten Frist begründet widersprechen. 

 

Zuwanderung wird gesteuert und ausgebaut. Zu uns kommen dürfen mit erleichterten Verfahren diejenigen, die unser Arbeitsmarkt braucht. Menschen, die unsere Werte respektieren und unsere Regeln einhalten. Wer das nicht tut, muss unser Land wieder verlassen.

 

Unser Ziel ist es, in rund 15 Jahren wieder das Auenland zu erreichen, das wir alle uns wünschen.

 

Um das dann mit Freunden zu feiern, bewerben wir uns um die Austragung der Olympischen Spiele.

 

Wir wollen dann ein modernes,wettbewerbsfähiges, und gut gelauntes Land vorführen.Mit Stolz auf das Erreichte.

 

Unser neuer Gesellschaftsvertrag sollte so aussehen!

 

Ich wünsche mir die Erkenntnis, dass unser Land, dass wir alle mehr tun müssen als wir heute zeigen.

 

Für die Sparkassen kann ich sagen: Wir sind dabei. Von uns kommen Kapital. Sicherheit. Stabilität. Zugang zu wirtschaftlichem Erfolg für alle. Und sichere Arbeitsplätze überall in Deutschland.

 

Wir wollen, dass unser Land wieder stark und wettbewerbsfähig wird.

 

Wir wollen ein Land,auf das wir stolz sein können.

 

Frieden ist kein Zufall. Wohlstand ist keine Serviceleistung. Demokratie ist keine Garantie.

 

Wohlstand für alle gibt es nur in der Freiheit einer Demokratie. Wenn wir uns alle anstrengen.

 

Deutschland kann mehr.  Wenn wir es wollen. Wenn wir wieder an uns selbst glauben. Wenn wir den Mut haben, nicht nur zu träumen, sondern zu handeln.

 

Das sollte unsere gemeinsame kraftvolle Botschaft von diesem Wirtschaftsforum aus der Paulskirche sein!