„Finanzbinnenmarkt ist kein Selbstzweck"
Kundenbedürfnisse müssen im Vordergrund stehen
In einem Gastbeitrag in der Neujahrsausgabe der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen (ZfgK) appelliert Dr. Karl-Peter Schackmann-Fallis, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), an die Politik, bei allen finanzwirtschaftlichen Themen – der Digitalisierung, der Bankenunion und der Bankenregulierung, der Kapitalmarktunion, der Wertpapierberatung und der Nachhaltigkeit – konsequent die Kunden in den Mittelpunkt zu stellen.
Mit dem Amtsantritt der neuen EU-Kommission wird die Gesetzgebung auf EU-Ebene neue Fahrt aufnehmen. Auch der europäische Finanzbinnenmarkt wird weiterentwickelt werden. Neue Gesetzesvorhaben sind bereits angestoßen, um internationale Vorgaben in europäisches Recht umzusetzen oder weil europäische Regeln auf den Prüfstand müssen. Zudem hat die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihren politischen Leitlinien und ihrem 100-Tage-Programm Schwerpunkte wie den „Green Deal“ gesetzt, die auch die Finanzwirtschaft betreffen. Wir sind der Überzeugung, dass bei allen Überlegungen die Kundenbedürfnisse im Zentrum stehen müssen. Denn die Finanzwirtschaft muss eine dienende Branche sein. Ein Europäischer Finanzbinnenmarkt darf nie ein Selbstzweck sein. Anderenfalls riskiert man eine Kluft. Das kann zulasten der Zustimmung in der Bevölkerung gehen.
Zusätzlich gilt: Bei allen Vorgaben sind die europäischen Prinzipien der Subsidiarität und der Proportionalität zu beherzigen. Das bedeutet, das alle Regelungen in Europa vorrangig auf der untersten Ebene getroffen werden müssen. Und sofern Maßnahmen auf EU-Ebene ergriffen werden, so müssen diese angemessen sein, d.h. sie müssen mit dem geringst möglichen Aufwand genau das Ziel erreichen, das erforderlich ist. Für die Kreditwirtschaft ist dies besonders wichtig.
Unser Appell geht daher an die Politik, bei allen finanzwirtschaftlichen Themen – der Digitalisierung, der Bankenunion und der Bankenregulierung, der Kapitalmarktunion, der Wertpapierberatung und der Nachhaltigkeit – konsequent die Kunden in den Mittelpunkt zu stellen. Was das im Einzelnen bedeutet, möchte ich nun erläutern.
1) Digitalisierung
Sowohl Privat- als auch Firmenkunden sind es seit vielen Jahren gewohnt, dass ihre Finanztransaktionen digital verarbeitet werden. Vermutlich gehört die Finanzbranche sogar zu denjenigen Branchen mit dem höchsten Grad der Digitalisierung. Ohne digitale Datenverarbeitung kein Bankgeschäft.
Aber die Digitalisierung entwickelt sich weiter. Erstens hat die PSD2 in rechtlicher und technischer Hinsicht dafür gesorgt, dass Zahlungsdienstleister im Auftrag des Kunden anderen Anbietern kostenlosen Zugriff auf Kundenkonten gewähren. Hier ist ein Ungleichgewicht entstanden. Denn nicht alle BigTechs gewähren ihrerseits Zugang zu ihrer Schnittstelle, von der das mobile Bezahlen abhängt. Gleiches ist bei Smart Speakern zu beobachten, die man für das Bezahlen per Spracheingabe braucht. Die Folge: Verbrauchern bleibt es verwehrt, vom Wettbewerb um das beste und innovativste Produkt zu profitieren. Im Interesse der Kunden ist auch der EU-Gesetzgeber hier aufgefordert, Leitplanken für einen fairen Wettbewerb zwischen BigTechs und Zahlungsdienstleistern einzuziehen.
Zweitens bieten neue digitale Techniken die Möglichkeit, komplexere Angebote schneller abzuwickeln. Die Distributed Ledger Technologie (DLT) und Blockchain haben das Potenzial, Transaktionen schneller, sicherer und kostengünstiger abzuwickeln. Die Landesbank Baden-Württemberg sammelt hier bereits Erfahrung mit der Abwicklung von Außenhandelsfinanzierungen via DLT-Technologie. Das reduziert die Dauer einer solchen Transaktion von Tagen auf Minuten. Um das Vertrauen der Kunden in solche neuen Technologien zu schaffen, sprechen wir uns dafür aus, Crypto-Transaktionen regulatorisch genauso zu behandeln wie die herkömmlichen Finanzprodukte.
Drittens nimmt der Zahlungsverkehr in den vergangenen Jahren einen immer höheren Stellenwert ein. Unsere Kunden schätzen die Möglichkeit innovative und bequeme Zahlverfahren rund um die Uhr nutzen zu können. Auch internationale Anbieter haben seit geraumer Zeit den Wert der Abwicklung von Zahlungen über ihre Systeme erkannt. Attraktiv ist das nicht nur, um Erlöse zu erzielen. Viele Anbieter wollen auf diesem Weg überhaupt mit dem Kunden in Kontakt oder auch die mit einer Zahlung in Zusammenhang stehenden Daten für ihre Zwecke nutzen zu können. Umso wichtiger ist es, dass der Zahlungsmarkt nicht von wenigen monopolartigen Anbietern dominiert wird und die europäische Kreditwirtschaft gemeinsame Payment-Lösungen entwickelt, mit denen den derzeitigen weltweiten Anbietern im Wettbewerb paroli geboten werden kann. Eine weltweite Akzeptanz für zum Beispiel ein neues Kartenzahlverfahren kann nicht von einen einzelnen EU-Land erzielt werden, sondern nur durch ein einheitliches europäisches Zahlverfahren, das ausreichend Transaktionen vorweisen kann. Vor diesem Hintergrund hat sich im Sommer eine Initiative von europäischen Banken gebildet, die zum Ziel hat, genau eine solche pan-europäische Lösung zu entwickeln. Auch die Sparkassen-Finanzgruppe ist involviert und unterstützt die Ausarbeitung einer Machbarkeitsstudie tatkräftig. So können wir es uns vorstellen, unsere Erfahrungen, die wir mit dem ec-cash-System gemacht haben, in ein solches System einzubringen.
2) Finanzmarktregulierung und Bankenunion
Die Strukturen von Finanzmärkten haben enorme Auswirkungen auf die Finanzierung der Realwirtschaft. In Deutschland profitieren die vielen mittelständischen Unternehmen, das Handwerk und die Selbständigen von den dezentralen und gewachsenen kreditwirtschaftlichen Verbünden wir der Sparkassen-Finanzgruppe. Denn sie finden in allen Regionen Finanzpartner auf Augenhöhe, die ihr Geschäftsvorhaben langfristig begleiten. Es ist daher wichtig, dass sich diese dezentralen Strukturen respektiert werden und dass sich die Regulatorik am Alltag der Menschen und dem Bedarf der örtlichen Wirtschaft ausrichtet, und die EU auf diese Weise den Grundsatz der Subsidiarität lebt. Europa sollte in der neuen EU-Legislaturperiode sicherstellen, dass Kreditinstitute in unterschiedlichen Rechtsformen und Aufstellungen erfolgreich sein können.
Ein richtiger Schritt in diese Richtung wurde in der zu Ende gegangenen Legislatur mit dem Bankenpaket gemacht. Nach langen und schwierigen Diskussionen in allen Institutionen und insbesondere im Europäischen Parlament wurden darin erstmals konkrete Ansätze von Proportionalität in der Regulierung europäischer Banken und Sparkassen etabliert und administrative Entlastungen von kleinen, wenig komplexen Instituten festgelegt werden. Die Gesetze sind ab Mitte 2021 anzuwenden. Mit der nun anstehenden europäischen Umsetzung des Pakets zur Finalisierung von Basel III sollen die regulatorischen Initiativen, die nach der Finanzkrise gestartet wurden, weitgehend abgeschlossen werden.
Uns sind dabei folgende Punkte wichtig: Die Baseler Vorgaben haben die großen, international tätigen Banken im Blick. Die für diese Institute entwickelten Standards auf alle Institute auszurollen – unabhängig von Größe und Risikogehalt – wird die Regulierungslast auch für kleinere und mittelgroße Banken weiter erhöhen. Das darf nicht sein. Dem Proportionalitätsprinzip sollte konsequenter als bisher Rechnung getragen werden. Die Anforderungen sind entweder auf große, international tätige Institute zu begrenzen oder in der Umsetzung so anzupassen, dass kleine sowie mittlere Institute weder administrativ noch materiell belastet werden. Bei der Umsetzung des Kreditrisiko-Standardansatzes (KSA) muss zudem darauf geachtet werden, den zusätzlichen Aufwand für kleinere Institute möglichst gering zu halten. Aus den genannten Gründen schlagen wir vor, den neuen KSA nur für große, international tätige Institute anzuwenden. Alle übrigen sollen weiterhin in dem bestehenden Rahmenwerk arbeiten können. In den USA wird eine solche klare Zweiteilung bereits seit Jahren praktiziert. So arbeiten die lokal verankerten Community Banks heute nach wie vor auf der Basis von Basel II.
Im Übrigen sind wir der Ansicht, dass trotz aller Bestrebungen, die Baseler Vorgaben in Europa möglichst treu wiederzugeben, wichtige, bereits in der CRR verankerte europäische Spezifika beibehalten werden müssen. Dazu zählen der KMU-Unterstützungsfaktor sowie Ausnahmen bei der CVA-Berechnung. Wichtig ist auch, dass der Europäische Gesetzgeber darauf achtet, bei der Basel-Umsetzung nicht vorzupreschen. Es sollte klar erkennbar sein, dass andere wichtige Jurisdiktionen einschließlich der USA die neuen Vorgaben ebenfalls umsetzen.
Ein weiteres gesetzgeberisches Großvorhaben war in den vergangenen zehn Jahren die Bankenunion. Dabei wurde mit dem gemeinsamen Aufsichtsregime, dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus und –fonds und mit der einheitlichen Europäischen Einlagensicherung viel erreicht, um die Banken- und Finanzmärkte stabiler und krisenresistenter zu machen. Doch auch hier gilt, dass nichts so gut ist, dass man es nicht noch besser machen kann. Aus unserer Sicht zählen dazu die Etablierung eines Back-Stops für den Bankenabwicklungsfonds, der weitere Abbau von Risiken sowie die Befassung mit dem Staaten-Banken-Nexus. Bei der Einlagensicherung sehen wir keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Denn mit der seit 2015 gültigen Einlagensicherungsrichtlinie ist jeder Euro an Kundeneinlagen in jedem Land der Euro-Zone gleich gut abgesichert. Eine Vergemeinschaftung der verschiedenen Sicherungssysteme lehnen wir ab, insbesondere auch wie sie unter dem Stichwort EDIS (European Deposit Insurance Scheme) von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde. EDIS untergräbt die Existenz der Institutssicherungssysteme und würde diese de facto abschaffen. Gleichzeitig würde ein solcherart vergemeinschaftetes und zentralisiertes System die Finanzmarktstabilität in Deutschland gefährden und in Europa Anreize für ein risikohaftes Verhalten von Banken schaffen. Zudem würde EDIS die Verflechtung von Banken untereinander erhöhen und neue Ansteckungsgefahren schaffen: eine regionale Bankenkrise und dadurch bedingte, eher lokal relevante Entschädigungsfälle würden Einleger dann europaweit verunsichern. Wir halten die jetzt geltenden Regeln für besser geeignet, das Vertrauen der Sparer in die Sicherheit ihrer Einlagen zu gewährleisten.
3) Kapitalmarktunion
Zu den Vorhaben der neuen EU-Kommission soll auch die Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion gehören. Auch hier gilt aus unserer Sicht ein Hauptaugenmerk dem Erhalt der Vielfalt von Finanzierungsformen für Unternehmen aller Größenordnung und Geschäftsausrichtung. Neue gesetzgeberische Vorhaben sollten darauf abzielen, adäquate Finanzierungsstrukturen für die europäische Wirtschaft zu sichern und weiter anzupassen. Dies umfasst neben der Finanzierung über die Kapitalmärkte für den weit größeren Teil der europäischen Wirtschaft auch die Kreditfinanzierung durch Banken und Sparkassen. Auf angemessene Vorgaben im Rahmen der Umsetzung der Baseler Vorgaben bin ich bereits eingegangen. Darüber hinaus können durch Verbriefungen Banken- und Kapitalmarktfinanzierung im Sinne der kreditnehmenden Wirtschaft und der Investoren verbunden werden. Ob aber mit den sogenannten STS-Verbriefungen (simple, transparent, standardised) eine Wiederbelebung dieses Marktes ermöglicht wird, ist nicht absehbar. Die Überwindung der Negativ- und Niedrigzinsphase brächte in diesem Zusammenhang weitaus größere Impulse. Nach unserer Ansicht sollten im Rahmen der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion auch spezifische mitgliedstaatliche Finanzmarktstrukturen gestärkt werden.
4) Wertpapierberatung
Die Wertpapierkultur ist in Europa nach wie vor schwach ausgeprägt. Daher sollte aus unserer Sicht der Zugang von Kleinanlegern zu Finanzmitteln des Kapitalmarktes gestärkt werden. Das gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die Niedrigzinspolitik der EZB bis auf Weiteres anhalten wird und viele Sparer sich Gedanken über Wertpapieranlagen machen. Die Anlage in Wertpapieren als Element privater Altersvorsorge muss für alle Bevölkerungsschichten attraktiv bleiben. Um Kunden an Kapitalmarktprodukte heranzuführen, braucht es neben der Stärkung der finanziellen Bildung vor allem eine Stärkung der Anlageberatung. Zurecht sichert MiFID II daher die provisionsfinanzierte Anlageberatung. Diese darf im Rahmen der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion nicht zur Disposition gestellt werden. Wie eine Studie der Ruhruniversität Bochum gezeigt hat, schrecken MiFID II und die PRIIPs-Verordnung Retail-Anleger von einem Engagement auf dem Kapitalmarkt ab. Die anstehenden Reviews beider Rechtsakte sollten dazu genutzt werden, die Regeln zu vereinfachen, einer Informationsüberfrachtung vorzubeugen und Widersprüche bei Kosten- und Risikoberechnungen zu beseitigen.
5) Nachhaltigkeit
Bereits die Juncker-Kommission hat sich intensiv dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet. Die Finanzierung der in Paris vereinbarten Klimaziele beschäftigte die Politik ebenso wie die Finanzdienstleistungsbranche. Mittlerweile ist Nachhaltigkeit und vor allem der Klimaschutz zum gesellschaftlichen Megathema geworden.
Die aktuelle Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Kreditinstituten konzentriert sich immer stärker darauf, auf welche Weise Institute diese Gewinne erzielen. Fragen nach nachhaltigen Geldanlagen, nachhaltigen Krediten, nach dem ökologischen Fußabdruck der Institute, nach Vermeidung nicht nachhaltigen Verhaltens von Instituten und Kunden nehmen stetig zu. Viele dieser politischen und aufsichtlichen Bestrebungen zielen grundsätzlich in die richtige Richtung und können von der Finanzbranche auch als Chance wahrgenommen werden. Ein einheitliches Rahmenwerk für nachhaltige Produkte (Taxonomie) trägt zur Orientierung bei Verbrauchern bei. Dabei macht es mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit und dem Ziel „Aufhalten des Klimawandels“, wenig Sinn dieses Rahmenwerk z. B. durch Ausweitung des Anwendungsbereichs - auf alle Finanzprodukte– also auch auf solche die nicht als nachhaltig deklariert werden auszuweiten. Es dient auch nicht der Sache, wenn jeder noch so kleine Kredit hinsichtlich seines Nachhaltigkeitsrisikos geprüft werden soll. Da stehen Nutzen und Kosten nicht in einem gesunden Verhältnis. Wir dürfen nicht vergessen, dass vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der europäischen und deutschen Wirtschaft sind und die Institute bereits jetzt eine Vielzahl von Vorgaben umsetzen müssen.
Die Sparkassen-Finanzgruppe sieht die gesellschaftliche Notwendigkeit, sich des Themas Nachhaltigkeit anzunehmen, sowohl in ökonomischer wie auch sozialer und ökologischer Perspektive. Eine Verengung allein auf den Klimaschutz halten wir nicht für sachgerecht. Auch der Klimaschutz wird nur dann erfolgreich sein können, wenn die Gesellschaft zusammenhält. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist bereit, die damit verbundenen Herausforderungen anzunehmen. Wir gestalten aktiv das Weiterdenken der Unternehmensführung im Sinne eines ökologisch-ökonomischen und gesellschaftlichen Miteinanders. Jedoch muss die Vielzahl von politischen und regulatorischen Initiativen wirklich zielführend, widerspruchsfrei und proportional zum Geschäftsmodell von Finanzinstituten stehen. Die Institute sollten nicht zum „verlängerter Arm“ der Politik werden. Das hätte Kollateralschäden zur Folge. Besser ist es, den gesellschaftlichen Wandel direkt unmittelbar zu gestalten.
Auf die neue EU-Kommission kommt viel Arbeit zu. Finanzwirtschaftliche Themen werden dabei nicht immer ganz oben auf der Agenda stehen. Sie sind aber enorm wichtig, weil auf europäischer Ebene entschieden wird, unter welchen Rahmenbedingungen Finanzdienstleister arbeiten können. Das wirkt sich entscheidend auf den Erfolg der mittelständischen Wirtschaft und der Privatkunden aus. Unser Appell geht daher an die Politik, den europäischen Finanzbinnenmarkt so auszugestalten, dass dezentrale und kundennahe Institutsgruppen wie die Sparkassen-Finanzgruppe auch weiterhin erfolgreich ihrer Aufgabe nachkommen können.