Grundsatzrede von Helmut Schleweis auf dem Deutschen Sparkassentag 2023

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Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

bei diesem Sparkassentag geht es um große Fragen: Wie wollen wir künftig leben? Wie erhalten wir Wohlstand und Freiheit? Wie können wir das Klima, unsere Lebensgrundlagen, wirksam schützen? Und wie bleiben wir bei alledem als Gesellschaft zusammen?

Wir sind Sparkassen. Dem Gemeinwohl verpflichtet. Mit Abstand die Nummer Eins in Deutschland. Wir stehen für Stabilität, für Berechenbarkeit, für Nähe zu den Menschen. Daraus erwächst eine große Verantwortung - weit über Finanzdienstleistungen hinaus. Deshalb müssen wir sprechen: Wie wir unsere Kraft zur Erneuerung dieses Landes einsetzen. Für jeden Einzelnen -und für uns alle zusammen.

I.

Viele von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, arbeiten schon lange für oder mit den Sparkassen. Bei mir sind es im September 50 Jahre. Wir haben manche Herausforderungen erlebt, auch Krisen. Neu ist aber die Fülle der Herausforderungen:

  • Krieg in Europa. Die europäische Friedensordnung wurde zerstört. Verteidigung ist wieder wichtig.
  • Klimawandel: Das 1,5-Grad-Ziel ist kaum mehr erreichbar. Extremwetterereignisse werden zunehmen. Damit müssen wir umgehen. Und das Schlimmste noch verhindern.
  • Energie ist knapp und bleibt teuer. Aus manchem sind wir ausgestiegen. Der Einstieg in die neue Energiewelt muss noch zum Erfolg gemacht werden.
  • Unsere Wettbewerbsfähigkeit, unser Wohlstand stehen in Frage - wegen hoher Energiekosten, wegen der neuen Spaltung der Welt, wegen fehlender Arbeitskräfte.
  • Und unsere Gesellschaft? Zusammenhalt wird schwieriger: Fehlende Wohnungen, hohe Inflation, das Gefühl einer ökonomischen und mentalen Überlastung.

Viele Jahre ist es gut gelaufen. Schwierige Aufgaben waren outgesourct: Energieversorgung nach Russland, Rohstoffversorgung nach China, Arzneimittelproduktion in Schwellenländer, Verteidigung in die USA und Müllentsorgung nach Afrika. „Wandel durch Handel“ haben wir gedacht. Und darauf vertraut, dass sich andere wandeln würden.

Darüber sind wir ein wenig satt geworden. Auch etwas blind. Doch jetzt merken wir alle: Spätestens mit dem Krieg gegen die Ukraine ist die Welt anders. Unsere Werte und unser Wohlstand sind nicht mehr selbstverständlich. Sondern müssen neu erarbeitet und verteidigt werden. 

Noch haben wir es selbst in der Hand: Wir können unsere Demokratie verteidigen und den Wettstreit mit Autokratien gewinnen. Wir können unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Wir können nachhaltig und klimabewusst leben. Und wir können unsere Gesellschaft, bei aller Unterschiedlichkeit, zusammenhalten, gerecht gestalten. Das alles können wir. Wenn wir aufhören mit: „Man könnte“, „man müsste mal“, „man sollte vielleicht“. Hin zu: „Wir können!“, „Wir wollen!“, „Wir werden!“. Meine Überzeugung ist: Wir müssen eine Brücke in die Zukunft bauen - eine Brücke, über die wir alle gehen können!

II.

Wir alle, meine Damen und Herren, haben eine Vorstellung von Zukunft. Eine Zukunft, in der jeder eine Chance hat. Eine Zukunft, in der wir die Umwelt nicht ausbeuten und die Klimaerwärmung nicht einfach hinnehmen. Eine Zukunft mit Unternehmen, die Menschen dienen - vielen Menschen, nicht nur wenigen. Eine Zukunft mit einer Gemeinschaft, mit einem Staat, der Einzelne nicht schwach macht, sondern stärker.

Sind solche Zukunftsvorstellungen realistisch? Ich frage Sie etwas anderes: Welchen Sinn hat ein Leben, wenn das alles unrealistisch wäre?  Ich spüre immer mehr: Es gibt eine Sehnsucht nach einer besseren Welt. Einer Welt, in der nicht nur Geld zählt. Es geht um mehr als Geld.

Meine Sorge ist: Wenn wir als Gesellschaft, auch als Sparkassen, es nicht schaffen, diese Sinnfrage zu beantworten, dann überlassen wir die Antwort falschen Ideologien. Dann nutzen Demagogen die Leere. Und füllen Sie mit Unwahrheiten, Hass und Hetze. Das dürfen wir nicht zulassen!

III.

Unser Land hat sehr grundlegende Herausforderungen, meine Damen und Herren. Es fehlt nicht an Lösungsideen, aber an Konsequenz und Leidenschaft. Eigentlich können wir das - wenn wir müssen. In der Corona-Pandemie haben wir das gezeigt. Auch in der Energiekrise im letzten Winter. Wir hätten heute ganz andere Probleme, wenn die Politik da nicht entschlossen gehandelt hätte.

Das war notwendig. Diese Entschlossenheit werden wir in Zukunft dringend brauchen. Fünf Punkte sind dabei aus meiner Sicht wichtig:

Erstens: Energie. Unser Wohlstand ist auf sichere und bezahlbare Energie gebaut. Auch unser sozialer Frieden. Die fossilen Zeiten - Öl, Kohle und Gas – sind allerdings absehbar vorbei. Die Kernspaltung haben wir abgewählt. Die Option der Kernfusion hoffentlich noch nicht.

Deutschland hat sich klar entschieden: Für den Weg der regenerativen Energien. Das ist eine mutige Entscheidung. Eine im Sinne des Klimaschutzes. Eine, die Zukunft und Wohlstand sichern kann. Aber eine, mit der wir so relativ allein in der Welt sind. Mir ist dazu ein Song in den Sinn gekommen. Ein Klassiker – jeder kennt ihn. „My Way“ von Frank Sinatra. Das ist ein Bekenntnis zum ganz eigenen Weg. Ein Weg, der konsequent durchgehalten wird: „I did it my way“. Ich habe es auf meine Art gemacht: Machen. Anders als andere! Aber machen! Das ist die Botschaft!

I did it. Dafür reicht es nicht, fünf Windkraftanlagen pro Tag zu beschreiben. Wir müssen sie bauen – onshore und offshore.

I did it. Dafür reicht es nicht, Windräder aufzustellen. Oder Solarfelder. Dazu müssen Stromautobahnen durch Deutschland gebaut werden. Das sind die Autobahnen, die jetzt wirklich Vorrang brauchen.

„Regrets, I´ve had a few“ geht der Song weiter. Zu bedauern hatte ich manches. Wir wollen bei der Energiewende nichts bedauern müssen. Deshalb dürfen wir nicht alles auf ein Pferd setzen. Neben der Wärmepumpe werden wir Fernwärme brauchen, Geothermie, Biogas, Grünen Wasserstoff, Stromnetze, Lade-Infrastrukturen und einen massiven Ausbau von Schienen.  Wir sollten nichts ausschließen, was fossile Energien einsparen oder ersetzen kann. Politik darf deshalb nicht Techniken vorgeben, sondern muss Ziele setzen. Und dann gute Bedingungen für Wettbewerb schaffen.

Ich denke, ich kann für uns alle sagen: Wir sind dabei. Wir wollen die Energiewende voranbringen und finanzieren: Die Erzeugung regenerativer Energien vor Ort, die Energieinfrastruktur, die energetische Sanierung der Immobilien - mit mindestens unserem Marktanteil. Wir wissen aber auch: Das wird eine Kraftanstrengung: Für unsere Beratung, auch für unsere Kapitalbasis. Aber wir sind dabei!

Ich sage Ihnen aber auch: Diese Anstrengung muss für alle verkraftbar bleiben. „Zwischen Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehört kein „Oder““ - das hat eine Regierungspartei jüngst im Landtagswahlkampf in Bremen plakatiert. Stimmt! Eine Energiewende, die ein Gefühl finanzieller Überforderung auslöst, kann nicht erfolgreich sein. Menschen und Unternehmen müssen gewonnen, nicht zu ihrem Glück gezwungen werden: Durch Beratung, durch Finanzierungsangebote, durch Fördermaßnahmen. Das ist mühsam. Basisarbeit. Keine Politik von der Kanzel.

Damit bin ich beim zweiten Punkt: Wohnen. Jeder Mensch benötigt eine bezahlbare Wohnung. Das sollte selbstverständlich sein, ist es aber nicht. Rund 700.000 Wohnungen fehlen. 400.000 sollen jährlich neu gebaut werden. Bestenfalls 240.000 werden es werden.

Wohneigentum ist inzwischen so teuer, dass es für zwei Normalverdiener aus eigener Kraft nicht mehr finanzierbar ist. Und Mietwohnungen sind so knapp, dass die Suche entwürdigend werden kann. Das sind Erfahrungen der Mittelschicht - von Menschen, die dieses Land tragen. Ich halte das für unfair, nicht generationengerecht, für eine grobe Unverschämtheit gegenüber einem wachsenden Teil unserer Bevölkerung, vor allem gegenüber jungen Familien. Das kann, das darf so nicht bleiben!

Nun fragen Sie sich: Wie können wir das ändern? Weil sich die Lage doch noch verschärft: Steigende Zinsen, stark steigende Baupreise und vor allem die Spätwirkungen der Geldschwemme. Denn bevor die Inflation im Alltag ankam, war sie bei Vermögenspreisen schon da. Und ist geblieben.

Die Baupreise sind derzeit so hoch, dass sie durch Mieten kaum eingespielt werden können. Kein Investor wird unter solchen Umständen bauen. Natürlich sind die Zinsen viel zu schnell gestiegen. Vier, fünf Prozent Zinsen sind im historischen Vergleich aber eher moderat.

Wir befürchten eine Rezession im Bausektor. Und sehen bereits Kurzarbeit. Wir sagen deshalb deutlich: Der Staat muss entschlossener Anreize setzen. Deutschland braucht mehr sozialgebundene Wohnungen. Und eine bessere Wohneigentumsförderung. Sie ist nicht gut genug, wenn sie Einkommensgrenzen setzt, mit denen Wohneigentum gar nicht mehr zu finanzieren ist.

Wir brauchen Bauflächen, vor allem Flächenumwandlungen. Wir haben zu viele Regulierungen. Das treibt die Baukosten nach oben. Und nicht zuletzt: Der Staat muss Bauwilligen Last von den Schultern nehmen. Vor allem durch einen Verzicht auf die Grunderwerbsteuer. Zumindest bei selbstgenutztem Wohneigentum. Mit dieser Steuer wird Menschen angespartes Eigenkapital genommen. 6,5 % von 400.000 EUR sind eben mal 26.000 EUR. Puff, nach der Unterschrift unter dem Kaufvertrag weg. Früher gab es eine Eigenheimzulage, heute ist es eine Eigenkapitalwegnahme. Das muss sich ändern!

Drittes Thema: Vermögensverteilung. Wir sind uns sicher einig: Unser Land muss möglichst vielen Menschen wirtschaftliche Selbstbestimmung ermöglichen. Faire Einkommen, gleichberechtigte Teilhabe an Vermögensbildung und eine wirksame Bekämpfung der Geldentwertung. Das ist das Fundament. Wohlstand für alle braucht Anreize zur eigenen Vermögensvorsorge. Die vorhandenen Förderinstrumente sind etwas verkümmert. Sie müssen renoviert werden. Denn private Vorsorge dient nicht nur Einzelnen. Sondern entlastet uns alle.

Sparkassen können aus kleinem Geld große Investitionen machen. Das wird wichtiger. Denn große Veränderungen erfordern viel Kapital. Aus staatlichen Kassen und vor allem privates Kapital. Die Frage, wie dieses Kapital aufgebracht wird, ist auch eine gesellschaftspolitische Frage. Wir wissen doch: Die gesamte Bevölkerung wird die Kosten für die Brücke in die Zukunft tragen müssen. Vor allem bei Energie. Da ist es nur fair, auch alle an den Erträgen teilhaben zu lassen.

Natürlich brauchen wir eine Kapitalmarktunion in Europa. Diese darf aber nicht nur den großen Investoren dienen. Faire Vermögensverteilung bedeutet: Der Weg zu den Früchten auf der anderen Seite der Brücke, zu Wertpapierengagements, muss für alle möglich sein. Dafür ist Beratung vor Ort entscheidend. Nur damit ist für viele die Brücke in die Zukunft überhaupt begehbar. Ich verstehe deshalb nicht, dass der Zugang zu Wertpapierberatung, immer weiter erschwert wird. Obwohl gleichzeitig nachhaltige Geldanlagen und Vermögensgerechtigkeit politisch gefordert werden. Das eine bedingt das andere!

Wir unterstützen die Kleinanlegerstrategie der EU, wenn sie wirklich mehr Teilhabe am Kapitalmarkt sicherstellt. Kapitalmärkte müssen Menschen dienen, nicht Banken. Und Sicherungssysteme müssen das Vertrauen von Menschen erhöhen, nicht die Geschäftsmöglichkeiten von Banken erweitern.

Meine vierte Sorge gilt der Wettbewerbsfähigkeit. Sie alle wissen, meine Damen und Herren: Wir können unseren Wohlstand nur erhalten, wenn unsere Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleibt. Nur erwirtschaftetes Geld kann man verteilen. Bezahlbare, verlässliche Energien allein werden nicht reichen. Es gibt große Aufgaben: Bei Rohstoffen und beim Faktor Arbeit.

Praktisch alle wichtigen Rohstoffe müssen wir importieren. Den Schlüssel dazu hat meist China. Wir sind hier ebenso abhängig, wie es bei Energie war. Deshalb müssen wir unsere Wirtschaft breiter aufstellen, einseitige Abhängigkeiten verringern. Das gilt für die Politik, nimmt aber auch Unternehmen in die Pflicht.

Dann der Faktor Arbeit. Wir alle spüren es schon heute: Nicht Arbeit wird knapp, sondern Arbeitskräfte: Züge fallen wegen Personalmangels aus, Pflegeleistungen können nicht mehr erbracht werden, Kommunen finden keine Bauleitplaner und wir keine Berater. Das ist erst der Anfang: 2023 werden netto 413.000 Menschen altersbedingt den Arbeitsmarkt verlassen. Im Jahr 2028 werden es netto 538.000 sein. Das alles, wenn wir schon Einwanderung unterstellen. Natürlich können Sie jetzt Ihr Recruiting verbessern. Die Zahl der Arbeitskräfte wird so aber nicht steigen.

Deutschland braucht gezielte Zuwanderung arbeitsfähiger und arbeitswilliger Menschen. Mindestens 300.000 jährlich, wenn die Lücke nicht noch größer werden soll. Natürlich wissen wir alle, dass uns das stark herausfordern wird. Schon heute sind die Kommunen bis an die Grenzen belastet. Und Zuwanderung erfordert noch mehr Anstrengung beim Wohnungsbau. Deshalb brauchen wir eine Steuerung der Zuwanderung nach ökonomischen Interessen, ohne dass wir unsere humanitären Werte verraten. Wir sollten geflüchteten Menschen schneller Arbeit ermöglichen. Denn nichts wird besser, wenn Menschen über Monate und Jahre beschäftigungslos ausharren müssen.

All das ist wichtig. Es wird aber nicht reichen, um die Arbeitskräftelücke zu schließen. Wir müssen die Produktivität erhöhen. Das geht nur durch Technologie. Die Digitalisierung hat Deutschland weithin verpasst. Erfindungen fanden zwar hier bei uns statt, die folgende Wertschöpfung aber in anderen Teilen der Welt. Wir müssen die verbleibenden Chancen nutzen, zum Beispiel bei Künstlicher Intelligenz. Damit wird es möglich sein, auch im Dienstleistungs- und Kreativsektor menschliche Arbeit umfassend zu unterstützen.

Ich bin überzeugt: KI wird Menschen nicht generell ersetzen. Aber es werden Menschen ersetzt werden, die nicht mit KI umgehen können. Deshalb brauchen wir Bildung und Befähigung und eine gute Regulierung, um das im Griff zu behalten.

Mein fünfter Punkt: Dezentralität erhalten und stärken. Wenn man, meine Damen und Herren, bei Nacht aus dem Weltraum auf Europa schaut, dann sieht man Muster aus Licht: Kriegsbedingte Dunkelheit in der Ukraine. Hell erleuchtete Ballungsräume in England, Frankreich und Spanien - London, Paris, Barcelona und Madrid. Und sehr viele Lichtfelder über Deutschland. Das zeigt unsere dezentrale Gliederung: Mittelständische Unternehmen, Weltmarktführer in vielen Regionen, leistungsstarke Kommunen in allen Teilen des Landes. Viel Licht, vergleichsweise wenig Dunkelheit. Das ist Deutschland! Deshalb sind wir so stark.

Diese Stärke müssen wir erhalten. Dazu müssen die mittelständischen Unternehmen den Weg in die Zukunft schaffen: Dekarbonisierung, Digitalisierung, De- oder besser Re-Globalisierung. Wir brauchen Regulierungen, die das erleichtern. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gehört sicher nicht dazu. Die EU-Taxonomie darf nicht nur grüne Investments fördern, sondern muss Finanzierung von Braun nach Grün ermöglichen. Und europäische Regeln dürfen nicht die Kreditfinanzierung abwerten, auf die der Mittelstand bei diesem Weg besonders angewiesen ist.

Und dann die Kommunen: Immer mehr Aufgaben, immer weniger eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Und nicht die notwendige Finanzausstattung. Ich verstehe kommunale Selbstverwaltung als ein Stück Freiheit, Als eigenen Gestaltungsraum vor Ort. Wir alle wissen: Eine zukunftsorientierte Gesellschaft braucht kraftvolles Mitmachen vor Ort, kommunale Gestaltungsmöglichkeiten und selbstverständlich die dazu erforderlichen Finanzen.

Sparkassen und Kommunen gehören untrennbar zusammen. Vor uns steht eine gemeinsame Bewährungsprobe. Denn das Bild aus dem Weltraum zeigt: Dezentralität ist ein Wert, den sich noch nicht alle erschlossen haben. Wir merken das, Sie merken das - in vielen europäischen Regulierungen, die auf Größe und Zentralisierung setzen. Größe und Zentralität erhöhen allerdings Risiken: Im Falle wirtschaftlichen Scheiterns, bei der Energiesicherheit, in Krisen- und Katastrophenfällen. Auf dem Weg in die Zukunft brauchen wir deshalb viele Brücken – überall, vor Ort. Deshalb sind moderne dezentrale Strukturen entscheidend. Ohne sie kann es keine sicheren Wege in die Zukunft geben. 

IV.

Sie wissen es, meine Damen und Herren. Wir müssen etwas beitragen. Wir, die Sparkassen-Finanzgruppe: Finanzdienstleistungen für alle. Finanzierungen für die wichtigen Zukunftsinvestitionen. Sichere Anlagemöglichkeiten für alle Teile der Bevölkerung.

Das sind wichtige Leistungen. Aber längst nicht alles, was Sparkassen einbringen können. Die Brücke in die Zukunft braucht vor allem Stabilität. Dafür stehen wir als Sparkassen-Finanzgruppe. Vor allem die Sparkassen stiften Vertrauen - in alle Richtungen, zu Kreditnehmern, zu Anlegern, für den gesamten Finanzmarkt und für die gesamte Bevölkerung.

Vertrauen ist entscheidend. Wir haben das mehrfach gesehen: In der Finanzkrise, auch bei den jüngsten Turbulenzen. Keine Regulierung der Welt, keine Behörde, keine Eigenkapital- oder Liquiditätsvorschrift kann Vertrauen ersetzen oder herbeireglementieren. Vertrauen muss man sich erarbeiten.

Das in uns gesetzte Vertrauen basiert auf Stärke und Berechenbarkeit. Eine Stärke, mit der wir auch Turbulenzen gut wegstecken: Die zurückliegende Niedrigstzinsphase und jetzt die zeitweisen Wertpapierkorrekturen. Niemand auf der Welt hat einen solchen öffentlichen Auftrag und beschafft sich das dazu notwendige Kapital durch eigene harte Arbeit selbst. Man kann das für eine deutsche Besonderheit halten - oder einfach großartig finden.

Seit Gründung der Bundesrepublik hat bei uns kein Sparer seine Einlagen verloren. Das ist eine historisch einzigartige Leistung - Ausdruck besonderer wirtschaftlicher Solidität, Ausweis Ihrer Kompetenz als Vorstände, Beweis Ihrer Sachkunde als Verwaltungsräte, Folge von Checks and Balances, vor allem in unserem Institutssicherungssystem. Das arbeitet nach dem Grundsatz der Prävention. Gefahren vermeiden, bei Fehlentwicklungen frühzeitig eingreifen, notfalls solidarisch tätig werden. Das System funktioniert bei Sparkassen, bei Bausparkassen, auch bei Landesbanken, dort gemeinsam mit Bundesländern als Trägern. Ich kenne kein System in Europa, das sich über so lange Zeit als so leistungsfähig erwiesen hat wie die hiesigen Institutssicherungssysteme.

Wir verstehen, wenn europäische Institutionen über Stabilität sprechen wollen. Das Ziel eint uns. Ich kann aber nicht verstehen, wenn man mit uns so spricht, als müsse man uns Stabilität beibringen oder Effizienz oder gar Markterfolg. Mit Verlaub, das ist unhistorisch, unangemessen. Und oft sind solche Belehrungen auch kontraproduktiv.

Eine zusammengezwungene europäische Einlagensicherung etwa schafft nicht mehr, sondern weniger Vertrauen. Warum sollten sich Sparkassenkunden besser fühlen, wenn das zu ihrer Sicherung angesparte Kapital nach Brüssel überwiesen wird? Wir sind deshalb der Bundesregierung, dem Bundeskanzler, dem Bundesminister der Finanzen, dankbar, dass sie eine klare Haltung haben!

Ein zweites Beispiel ist der digitale Euro. Die Europäische Zentralbank arbeitet vehement daran. Digital klingt gut. Aber natürlich ist Geld schon heute digital. Und mit EPI werden wir 2024 auch ein europäisches Zahlungssystem haben. Es geht bei der Diskussion tatsächlich darum, ob die EZB selbst als Wettbewerber in den Payment-Markt eintreten soll. Ob sie Konten für Endkunden führen soll. Ob sie programmierbares Geld einführt - Programmierungen, mit denen Zahlungen politisch gelenkt und Nachverfolgung ermöglicht werden könnten.

Der Interessenkonflikt der EZB liegt auf der Hand: Notenbank, Bankenaufsicht und gleichzeitig Wettbewerber? Ein digitaler Euro ist eine Operation am offenen Herzen der Finanzstabilität, des Wettbewerbs und der bürgerlichen Freiheiten. Deshalb braucht es Sorgfalt, umfassende Auswirkungsstudien und Respekt vor Gewaltenteilung. Die EZB ist unabhängig - in der Geldpolitik, aber nicht bei solchen Strukturveränderungen. Dort ist eine demokratische Legitimation durch Parlamente der Mitgliedsländer aus meiner Sicht zwingend.

Ein zweiter wichtiger Faktor, mit dem wir die Zukunftsbrücke stabil machen, ist Dezentralität. Stabile Bauwerke brauchen viele Pfeiler. Dezentralität wird oft mit mangelnder Effizienz gleichgesetzt. Dieses Problem entsteht, wenn die Pfeiler die Last nicht teilen. Wir teilen Arbeit und Know-How und nennen das Verbund. Genau das ist der entscheidende Unterschied zwischen deutschen Sparkassen und vielen anderen Regionalbanken in der Welt.

Seit der Finanzkrise sagen Politiker und Regulatoren auf der ganzen Welt: Banken dürfen nicht too big to fail sein. Um dann Banken immer größer zu machen: UBS und Credit Suisse. JP Morgan und First Republic Bank. Immer größere Banken. Immer weniger Pfeiler für die Brücke in die Zukunft.

Es ist eine richtige Überlegung, dass Staaten nicht für zu große Banken haften sollen. Denn eigenes Handeln kann sorgloser werden, wenn andere haften. Wir brauchen deshalb Eigenverantwortung, solide Geschäftsmodelle, Einheit von Risiko und Haftung. Aber machen wir uns nichts vor: Sehr große Banken brauchen im Krisenfall immer den Staat als letzte Stütze, bevor volkswirtschaftliche Brücken insgesamt einstürzen. Dezentrale Verbünde haben da einen systemischen Vorteil. Sie haben in ihren Teilen jeweils Größen, die solidarisch gesichert werden können. Und sie gehen arbeitsteilig genug vor, um die Effizienzvorteile großer Einheiten heben zu können.

Aber natürlich wissen wir alle, dass Märkte oft größere Einheiten brauchen. Das ist bei Landesbausparkassen der Fall. Deshalb werden hier größere Einheiten gebildet. Deshalb werden bei Payment und internen Dienstleistungen Strukturen verändert. Und ich, Sie wissen das, sehe eine solche Notwendigkeit auch bei Landesbanken. Nicht um sie durch Addition größer zu machen, sondern um die Leistungsfähigkeit zu erhöhen und sie auf die Risikobereitschaft der Sparkassen hin zu optimieren. Diese Aufgabe ist noch nicht erledigt. Sie muss noch gemacht werden. Und das wird auch geschehen. Später, hoffentlich selbstbestimmt.

Bei nüchterner Betrachtung weiß jede Landesbank, dass für eine gute Zukunft eine enge Zusammenarbeit mit Sparkassen erforderlich ist. Auch Bundesländer wissen das.

Ich möchte einen dritten, wichtigen Punkt für den Weg in die Zukunft ansprechen: Kundennähe. Niemand ist heute den Menschen so nah wie die Sparkassen - mit mehr mitarbeiterbesetzten Filialen als ALDI und Lidl zusammen. Es ist nicht lange her, da galt Deutschland wegen dieser Filialen als overbanked. Jetzt wird zuweilen jede Filiale für systemrelevant gehalten.

Ich denke, jeder wird verstehen: Alltagsgeschäfte finden heute online statt. Deshalb kann eine Filiale, in die fast niemand kommt, nicht bleiben. Wir müssen aber auch verstehen: Filialen sind ein Symbol für Kundennähe. Und an Kundennähe dürfen wir keine Zweifel aufkommen lassen. Wir müssen da sein, wo die Menschen sind. Wir müssen Online-Zugänge bieten. Aber nicht nur, sondern auch unmittelbaren Zugang für komplexere Beratungsbedarfe. Und auch für Menschen, die nicht mobil oder online sind. In einer alternden Gesellschaft wächst dieser Bedarf. Damit müssen wir uns befassen. 

Betriebswirtschaftliche Optimierung, Fragen der Banksteuerung, des Risikomanagements haben in den letzten Jahren im Vordergrund gestanden. Das war regulatorisch erzwungen. Nun gibt es Sparkassen allerdings für Kunden, nicht für Regulatoren! Auch wenn man bei dem, was Tag für Tag so abverlangt wird, zuweilen einen anderen Eindruck gewinnen kann. Bedürfnisse von Kunden müssen im Mittelpunkt stehen. Ihre Zufriedenheit muss die wichtigste Steuerungsgröße sein. Wir sollten darauf vertrauen, dass zufriedene Kunden wiederkommen, uns weiterempfehlen und uns so betriebswirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft sichern. Das erfordert Vorinvestitionen, während der Erfolg erst in der Zukunft sichtbar wird. Deshalb brauchen wir einen klaren Kompass: Kurzfristiger Erfolg ist gut. Langfristiger, nachhaltiger Erfolg ist besser! Das werden wir in der Geschäftsstrategie neu justieren.

Kundennähe bedeutet aber auch, ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein. So regional wie Deutschland. Und so divers wie unser Land. Es geht darum, qualifizierte junge Menschen für uns zu gewinnen, auch über den kurzfristigen Bedarf hinaus. Wir müssen uns anstrengen für die Anforderungen der Generation Z und bald auch Alpha - in unseren Arbeitsbedingungen und beim Herausarbeiten unserer Werte. Denn machen wir uns nichts vor: Wir bewerben uns künftig bei den Arbeitnehmenden - nicht umgekehrt.

Die Sparkasse an sich ist weiblich. Die Sparkasse. Wir haben mehr Kundinnen als Kunden. Über 61 % der Beschäftigten sind Frauen. In den Führungsebenen sieht das anders aus: 28 % der Führungskräfte unterhalb der Vorstände sind Frauen - immerhin. In den Vorständen finden wir aber nur 6,2 % Frauen.

Im Ernst, meine Damen, meine Herren, den Frauen gehört die Hälfte der Welt! Muss ihnen gehören. Auf allen Ebenen.

Leider haben wir zu spät damit angefangen. Deshalb werden wir die Parität erst in einigen Jahre erreichen. Selbst wenn ab morgen jede freiwerdende Vorstandsposition mit einer Frau besetzt würde. Und das ist ja auch nicht ganz realistisch.

Das ist mir aber wichtig: Noch nie waren die Chancen für Frauen, bei Sparkassen eine Vorstandsposition zu besetzen, so groß wie heute. An Sie als Vorstände und Verwaltungsräte deshalb die dringende Bitte: Sie schaffen die Voraussetzungen. Machen Sie es!

 

V. 

Meine Damen und Herren, das Bankgeschäft haben wir im Griff. Wir sind im Markt erfolgreich. Unsere Geschäftsergebnisse verbessern sich. Wir haben eine gute Zukunft, wenn die Politik uns lässt. Das wird sie tun, wenn die gesellschaftliche Relevanz der Sparkassen klar ist.

Sparkassen unterscheiden sich von anderen Finanzdienstleistern dadurch, dass sie eine gemeinnützige Mission haben: Soziale Teilhabe sichern! Und so zu gesellschaftlicher Stabilität beitragen.

Angesichts der vor uns stehenden großen Veränderungen wird diese Aufgabe wichtiger -Sparkassen werden wichtiger, Landesbausparkassen, unsere Versicherungen, die Deka, Landesbanken und alle anderen Verbundunternehmen als Unterstützer von Sparkassen.

Mir war es eine große Ehre und Freude, dieser Idee über so viele Jahre dienen zu dürfen. Bis zum 31. Dezember werde ich diese Aufgabe mit vollem Einsatz erfüllen. Und sie dann vertrauensvoll in die Hände meines Nachfolgers Ulrich Reuter übergeben. Wir beide sind uns einig: Wir wollen eine gute Brücke bauen!

Ich möchte mich schon heute bei Ihnen bedanken. Dafür, dass sie mir all die Jahre, so viel Vertrauen entgegengebracht haben. Ich kann nicht behaupten, dass es immer leicht war. Es war anregend, aufregend und erfüllend. Es hat Freude gemacht. Ich war immer stolz, ein Mitarbeiter der Sparkassen-Finanzgruppe zu sein!

Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Die nächsten Monate sind wichtig. Jetzt werden politisch die Fundamente für die Brücken in die Zukunft gelegt. Wir wollen diese Brücken mitbauen - Mit unserem Know-How, mit unserer wirtschaftlichen Kraft, mit unserer ganzen Energie.

Bald 250 Jahre gibt es Sparkassen. Große Veränderungen haben wir schon erlebt – politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich. Wer kann von sich behaupten, Deutschland so mitgestaltet zu haben wie die Sparkassen?  Auf uns kommt es also an. Jetzt wieder. Jetzt ganz besonders! Für die Menschen! Für unser ganzes Land!

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